PRESSEARTIKEL
Auf der Baustelle EU

Dort kümmert sich Hanna Hahn um einen Fisch

Ihre Karriere bringt Hanna Hahn auf die Kurzform: „Von der Kultur zur Agrikultur zur Aquakultur.“ Am Samstag berichtete sie im Reustener Bergcafé über ihre Arbeit bei der EU-Kommission. Sie überwacht die Einhaltung der Fangquoten für den Roten Thunfisch im Mittelmeer.

Hanna Hahn Bild: Keicher

Reusten.Das Bergcafé ist im Moment eine Baustelle. Hanna Hahn hat es zusammen mit ihrem Mann Daniel Schürer von den Großtanten Marie und Sophie übernommen. Hannas Großvater war deren Bruder. Im Moment wird das Haus umgebaut, nächstes Jahr will die Familie mit ihren drei Kindern einziehen und das Haus als Begegnungsort wiederbeleben – mit Vorträgen, Workshops und der Reihe „Schule“, in der Hanna Hahn ausdrücklich als Privatperson einige gute Worte über die EU sagte. Die 36-Jährige Kulturwissenschaftlerin arbeitete nach ihrem Studium in Marseille und Hildesheim im Bundeslandwirtschaftsministerium. Seit fünf Jahren arbeitet und wohnt sie mit der Familie in Brüssel. Nach Vertragsende im nächsten Jahr will sie nach Reusten zurückkehren.

Baustelle, fand sie, sei auch ein gutes Bild für die europäische Union. „Auf der Baustelle EU wird jeden Tag gearbeitet, trotz der schlechten Presse, trotz der Misserfolge, trotz der Hetze.“ Allerdings bittet sie auch um Verständnis, „dass ich nicht jedes legislative Verfahren der letzten 30 Jahre auf meine schmalen Schultern nehmen kann.“

Ungläubiges Staunen löse aus, wenn sie ihre Arbeit beschreibe. Sie kümmere sich um einen Fisch. „Aber es ist nicht ein Fisch, es ist der Fisch“, betont Hahn die Einzigartigkeit des Roten Thunfischs, der seiner wirtschaftlichen Bedeutung wegen fast ausgerottet worden wäre. Der Fisch laicht und lebt überwiegend im Mittelmeer, von wo aus auch Tiere in den Ostatlantik wandern. Über 80 Prozent der Fänge gehen nach Japan, wo ein schöner Fisch mit Millionen bezahlt wird.

2007 beschloss die EU ein „Wiederauffüllungsprogramm“ für die brachial dezimierten Bestände. Hahn skizzierte die Möglichkeiten, die die EU-Kommission im Beziehungsdreieck zwischen Europäischen Rat, Ministerrat und Europäischem Parlament habe. Die Einzelstaaten vertreten mitunter auch verbissen ihre Interessen. Wichtig sei aber, dass die EU-Kommission ihre Verantwortung wahrnehme. In der Thunfischfrage gelang es, einen „klaren Auftrag und eine genaue Definition der Politik“ zu formulieren.

Für die erfolgreiche Umsetzung der Ziele ist das unverzichtbar. Freiwillig habe sich niemand an die Fangquoten gehalten. Sanktionen sind verhängt worden und ein Kontrollsystem ist eingerichtet worden. Das hat allerdings riesige Löcher, wie Hahn selbst sah, als sie auf Besuch in einem maltesischen Hafen war.

Nach einer Pause geht die Schule weiter. Erheitert hat der Ausschnitt aus „Das Leben des Brian“ schon (Was haben die uns schon gebracht, die Römer? Den Frieden? Ach was?). Die Skepsis an der EU – ineffizient, teuer, bürokratisch und anfällig für Lobbyisten – hielt sich hartnäckig bei den über dreißig Zuhörern.

Hahns Hinweis, dass Umweltverbände auch Lobbyisten sind, macht Eindruck. Kurz gestreift wird noch der Brexit. „Unser Brexit ist die AfD.“ Zur Flüchtlingskrise sagt Hahn etwas Ernüchterndes: „Eine europäische Flüchtlingspolitik gibt es gar nicht. Das ist Wunschdenken.“ fk